Ana Madic

Wert(e), oder, Das eine Wort, das mich drei Jahre Glück gekostet hat: Pinocchio.

Ich muss 12 gewesen sein. Die Schulpause ging gerade zu Ende und alle strömten langsam zurück in ihre Klassenzimmer. Die Eingangshalle war voll. Plötzlich rief ein unbekannter Junge lauthals „Pinocchio!“ aus und zeigte mit dem Finger auf mich.

Bis zu diesem Moment war ich einfach einzigartig wie jedes andere Kind auch.

Ab diesem Tag sah ich im Spiegel nur noch meine große Nase.

Nicht die mandelförmigen Augen, nicht die schön geformten Lippen; meine Empathie, Intelligenz, Fantasie oder meinen Charakter auch nicht.

Das eigentliche Problem war nicht, dass ich mich nicht mehr „schön“ genug fand, sondern, dass ich mich nicht mehr für liebenswert genug hielte.

Bis ich dann 15 wurde und plötzlich einige der interessantesten Jungs anfingen, sich für mich zu interessieren. Jungs, die von meinen Freundinnen angeschmachtet wurden, und die ich sonst nur aus der Ferne bewundert habe oder hätte.

Zum Glück war mein Gehirn dann logisch genug, um zu denken: Also, wenn ich für DIE schön oder attraktiv genug bin, ist meine Nase wohl doch nicht sooo schlimm. Für wen soll ich denn bitte noch schöner aussehen und warum?

Ja, ich habe mein Aussehen damals immer noch bewertet, und zwar nach den Reaktionen von außen. Ich war ja 15.

Aber immerhin hatte das jahrelange Leiden aufgehört, weil ich nun „Beweise“ hatte, dass ich „genug“ bin, so wie ich bin.

Es hat noch einige Jahre gedauert, bis ich mich wirklich wohl in meiner Haut gefühlt habe.

Erst nachdem ich, obwohl ich begehrt war, immer noch unglücklich war. Meistens sogar als Folge davon.

Es hat gedauert, bis ich wirklich verinnerlicht habe, dass man „nur mit dem Herzen“ gut sieht, und „das Wesentliche für die Augen unsichtbar“ ist (Antoine de Saint-Exupéry: „Der kleine Prinz“). Und dass mich auch nur Menschen interessieren, die mit ihrem Herzen das Unsichtbare erkennen.

Dass mein Wert weder etwas mit meiner Nase noch mit meiner Figur zu tun hat; dafür alles mit meinem Herzen, meinem Charakter, meiner Menschlichkeit.

Dass meine innere Ruhe wichtiger als jede Liebesgeschichte ist, und dass ich dafür selbst sorgen muss.

Dass es auf mein Verhalten anderen gegenüber ankommt, auf die Entscheidungen, die ich jeden Tag treffe, auf meine Offenheit und Lernbereitschaft.

Und dass ich all diese immateriellen Sachen jeden Tag selbst formen, gestalten und verändern kann, nur mit etwas Willen, und etwas Güte – und ich verfüge über „genug“ davon.

Falls Du jemals an Deinem Aussehen verzweifelt hast oder jemanden kennst, der damit heute noch kämpft, denk bitte daran:

Äußerlich schöne Menschen sind nicht automatisch gute Menschen; und äußerlich schöne Menschen sind nicht automatisch glücklicher.

Wenn Du an etwas arbeiten möchtest, lass das Dein nächstes berufliches Projekt sein, Deine Klavierspiel-Fähigkeiten, Dein „kleines, aber feines“ Freundschafts-Netzwerk, Dein TBR-Stapel, Deine Patchwork-Decke, Deine Geduld, und alles, was Dich und die Menschheit sonst irgendwie weiterbringt.

Bitte. Versuch, logisch nachzudenken und Dich kreativ auszutoben, sei nett zu Dir und zu den anderen, und Du wirst automatisch glücklicher sein.

Ich bin froh, eine Nase zu haben. Damit kann man atmen, sich gegenseitig zärtlich berühren, an Blumen, Kaffee und Schokolade riechen, und die auch mal rümpfen, zum Beispiel, wenn man aus vollem Herzen lacht.

Und nur die Größe meines Herzens bestimmt meinen „Wert“.

Herzensgrüße

Deine Ana

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